35 Jahre Abfallorganisation in Herscheid

(Gerd Kohlhage, November 2007)

 

In den ersten Jahren nach 1972 galt es, die Einsammlung der Abfälle aus Haushalten und haushaltsähnliche Produktionsabfälle aus Gewerbe und Industrie vom bisherigen runden Ascheneimer mit Tragebügel auf die neuen großen Kunststoffbehälter mit Rädern und einem Fassungsvermögen von 240 l umzustellen.

Eine neue Satzung musste erlassen werden, die so genannte Einwohnergleichwerte enthielt, denn die Gebührenerhebung erfolgt jetzt nach Einwohnern.

Da die neuen großen Müllbehälter aus Kunststoff mit Rädern darunter sich eigneten, auch bei der Gartenarbeit Steine und Unkraut aufzunehmen, erhöhten sich die Abfallgewichte und damit auch die Kosten beträchtlich. Das war ende der 70-iger Jahre die Geburtsstunde der Grünabfallcontainer, die zuerst skeptisch beurteilt wurden. Schon 1983 erfolgten 308 Abfuhren von Grünabfall. Der Wunsch aus der Bürgerschaft, über die zunächst aufgestellten 8 kleineren 2,5 cbm-Container hinaus weitere Container aufzustellen, wuchs.

Von Jahr zu Jahr wurden mehr Container zur Einsammlung der Grünabfälle aufgestellt und die Grünabfallmengen erhöhten sich von z.B. 297 t in 1989 auf schon 730 t im Jahre 2000 und über 900 t in 2007. In 2008 besteht die umfangreiche Grünabfalleinsammlung von April bis November 25 Jahre.

Ende der 80- iger Jahre wurden die ersten Schritte zur Sortierung der Abfälle in die zur Beseitigung und die Abfälle zur Verwertung eingeleitet. Hinter dem Rathaus auf den Parkplätzen standen große Container für Dosen und Joghurtbecher. Die Joghurtbecher wurden direkt nach Meinerzhagen zur Wiederverwertung transportiert.

Aber 1990 brach dann eine neue Zeit in der Abfallentsorgung an. Die Verpackungsverordnung verpflichtete nicht nur erstmalig Industrie und Handel zur Rücknahme von Verpackungsabfällen und führte damit marktwirtschaftliche Regularien in einen Teilbereich der Abfallentsorung ein. Es galt nun der Grundsatz: zunächst Abfallvermeidung, dann Abfallwiederverwertung und nur noch nicht wieder verwertbare Abfälle sollten beseitigt werden. Abfallaussortieren zur Kostensenkung einerseits und zur Gewinnung wieder verwertbarer Stoffe andererseits war neues Gebot.

Es musste also eine Abfallorganisation gefunden werden, die Bürger anreizte, die Restabfalltonne nur noch mit nicht mehr verwertbaren Abfällen zu füllen – also Abfall zu sortieren.

Und das ging am besten durch eine Gebührenerhebung entsprechend der Häufigkeit der Behälterentleerung. Wer mehr teuren Müll in die schwarze Tonne warf und weniger sortierte, sollte mehr bezahlen. Ein erster Schritt in Richtung Verursacherprinzip also.

1990 wurde das Markensystem eingeführt – abgekuckt in Alsfeld in Hessen und unter Beteiligung des Ausschusses durch Erfahrungssammlung vor Ort in Hessen. Aber die Markenrückgabemöglichkeit – mit allen Mogeltricks – führte zu einem finanziellen Fiasko – über 200.000,–DM fehlten im Gebührenhaushalt. Das Geld war bei den Bürgern geblieben bzw. wieder an sie zurückgeflossen und stand zur Deckung der Kosten nicht zur Verfügung- ein riesiges Loch im Haushalt. Das hätte mich wahrscheinlich meinen Job gekostet, wenn ich nicht Beamter auf Lebenszeit gewesen wäre.

Doch schon 1992 trat das KippChip-System an die Stelle des Markensystems. Und die Einführung von Mindestmarken bzw. Mindestbenutzungen war der entscheidende Schachzug, um einerseits Kalkulationssicherheit zu haben, andererseits aber auch einen begrenzten Sortieranreiz bei gleichzeitiger Eindämmung von illegaler Abfallablagerung zu erreichen.

Dieses einfache und gleichzeitig sehr praktikable und billige System wird nun in Herscheid schon 16 Jahre lang erfolgreich eingesetzt – im Grund ein geniales System, hier in Herscheid erfunden und in der Grundidee in vielen Teilen Deutschlands bis ins Ausland hinein kopiert. Vorträge in vielen Fachseminaren und sogar an der Uni Magdeburg belegen das.

Und dieses System zeigte schon sofort Wirkung trotz Mindestbenutzung, die dem Grundsatz der Gebührengerechtigkeit widerspricht, aber die engagierte Arbeit der sorgfältig Sortierenden vor dem Schaden durch die Gleichgültigen schützt.

1992 sank die Abfallmenge aus diesen Haushalten um sage und schreibe 61 % . Und das obwohl die Einwohnerzahl in Herscheid von 6824 in 1984 auf 7438 in 1994 gestiegen war. Nach Abfallgewicht je Einwohner waren es sogar 65 % weniger.

Und natürlich wirkte sich diese Wende auch auf die Belastung der davon betroffenen Bürger aus; denn der Abfall zur Beseitigung verursacht Kosten durch Deponieren oder später durch Verbrennen. Die Abfälle zur Verwertung verursachen jedoch keine Kosten. Bei Papier und Pappe wurden die Kosten durch Erlöse aus der Papiervermarktung gesenkt.

In den Genuss dieser Senkung der teuren Abfallmengen zur Beseitigung kamen aber nur die Bewohner der Ein- und Zweifamilienhäuser, die Benutzer von Einzelbehältern bei Anwendung des Kipp-Chip-Systems. In den Mehrfamilienhäusern stellte sich dieser Effekt nicht ein, weil dort über MGB 1100 anonym entsorgt wurde und eine zum Sortieren des Mülls anreizende Gebührengestaltung nicht möglich war.

Nachdem 1990 die Verpackungsverordnung den Weg in eine marktwirtschaftliche Gestaltung der Abfallentsorgung eingeleitet hatte, wurde mit Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaft- und -abfallgesetzes 1994 dieser Weg mit ganz erheblichen Konsequenzen für die Kommunen und ihre Bürger zugunsten von Gewerbe und Industrie fortgesetzt, ein richtiger , aber leider nur halber Schritt. Denn jetzt konnte sich die Industrie die günstigsten Entsorgungswege auf dem Markt aussuchen, die Kommunen für ihre Bürger jedoch nicht. Die Übergabe der Hausmüllentsorgung in das marktwirtschaftliche System bei Wahlfreiheit des günstigsten Entsorgungsweges für die Kommunen anstelle des Anschluss- und Benutzungszwanges wäre vielleicht ein konsequenter Weg gewesen. Denn unter entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen birgt die Abfallentsorgung in den Händen der freien Wirtschaft keine größeren Umweltrisiken als in den Händen der Staatsbetriebe. Die Folge dieses marktwirtschaftlichen Weges war ein Wegbrechen der Abfallmengen aus Industrie und Gewerbe zu fast 100 %, wie ich das unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes 1994 bereits prognostiziert hatte. Halbleere Verbrennungsanlagen und die Umlage der Fixkosten fast ausschließlich auf die Haushalte führten zu explodierenden Gebühren.

Umso wichtiger war es jetzt, für Gebührengerechtigkeit unter allen Bürgern zu sorgen, egal wo sie wohnten, in Mehrfamilienhäusern oder in Einfamilienhäusern.

Erst 1998 mit Einführung der Müllschleusen für die Mehrfamilienhäuser konnte in Herscheid ein für alle Benutzer der Müllabfuhr gleiches Anreizsystem mit höherer Gebührengerechtigkeit realisiert werden. Und die Wirkung zeigte sich auch hier sofort. Auch hier wurde die Menge der Abfälle zur Beseitigung halbiert.

Auf Grund der bisher hohen in die Großcontainern vor den Mehrfamilienhäusern anonym und ohne Zurechnungsmöglichkeit zu den Verursachern eingefüllten Abfallmengen zahlten dort jeder Einwohner durchschnittlich 195,–DM Müllgebühren, während die Benutzer der Einzelbehälter nur 104,–DM, also 47 % weniger zahlten.

Dies war eine soziale Ungerechtigkeit; denn die Bewohner der Mehrfamilienhäuser hatten keine Chance und keine Motivation, die Menge der teuren Abfälle zur Beseitigung und damit auch ihre Belastungen zu senken.

Erst durch die Einführung der Müllschleusen konnte die ungerechte Subventionierung der Ein- und Zweifamilienhausbereiche durch die Bewohner der Mehrfamilienhäuser beseitigt und für alle das gleiche Gebührensystem umgesetzt werden. Denn die Fixkosten wurden entsprechend der Höhe der Abfallmengen auf die Benutzer der Einzelbehälter und die Großbehälter an den Mehrfamilienhäusern verteilt. Und dieser Verteilungsmaßstab der Fixkosten (Personalkosten, Systemkosten usw.) ging eindeutig zu Lasten der Bewohner in den Mehrfamilienhäusern – und das waren in der Regel die sozial Schwächeren – solange sie keine Möglichkeiten und keine Anreize hatten, die Mengen der Abfälle zur Verwertung zu senken und Wertstoffe zur eigenen Entlastung auszusortieren.

Ab 1999 nach Einführung der Müllschleusen – zuerst mit nur wenigen durch das GWU dann aber flächendeckend in allen Mehrfamilienhausbereichen – zahlte eine Person aus Mehrfamilienhäusern mit Schleusenbenutzung nun nur noch ca. 95,–DM je Einwohner, weil die Behälter in den Schleusen durch die Senkung der Abfallmengen nur noch alle zwei Wochen geleert werden brauchten ebenso wie die Einzelbehälter. Ein Bewohner eines Einfamilienhauses zahlte 1999 im Durchschnitt gemessen an einem Dreipersonenhaushalt = 77,–DM. Noch immer war also die Belastung der in der Regel finanzschwächeren Bewohner in den Mehrfamilienhäusern im Vergleich zu den Bewohnern der Ein- und Zweifamilienhäusern zu hoch, zumal bei denen durch Grünabfälle, Abfälle aus der Gebäude- und Gartenunterhaltung im Grunde mehr Abfälle anfielen als in den Mehrfamilienhäusern.

Erst 2002 konnte ein Gebührensystem gefunden werden, das diese noch bestehende Ungerechtigkeit aufheben konnte. Für die Bewohner in den Mehrfamilienhäuser wurde ebenso wie beim Kipp-Chip-System eine Mindestbenutzung von 650 l je Person eingeführt (orientiert an der deutlich geringeren Abfallmenge in diesen Gebäuden ohne größere Gartenumlage) mit der Folge, dass die Abfallmengen in den Schleusen weiter deutlich sanken und die Gebühr in 2002 für die Benutzer der Schleusen auf 62,–€ je Person gesenkt werden konnte. Ein Bewohner eines Zweifamilienhauses und Benutzer eines Einzelbehälters hatte in 2002 (wieder orientiert an einem Dreipersonenhaushalt) = 90,–€ zu zahlen. Im Belastungsvergleich hatten sich die Verhältnisse zugunsten der Bewohner der Mehrfamilienhäuser umgekehrt und das auch zu recht; denn auf einem Ein- und Zweifamilienhaus entstehen zwangsläufig allein durch die Gartenpflege und Benutzung der Grünabfallcontainer deutlich mehr Abfälle als in den Mehrfamilienhäusern.

Die Ihnen für 2008 vorgelegte Kalkulation entspricht nach wie vor dieser Gebührengerechtigkeit; denn danach erwartet den Benutzer eines Einzelbehälters in einem Einfamilienhaus eine Gebühr von 105,–€ gegenüber 60,74 € für den Benutzer einer Schleuse; denn die Abfallmenge je Einwohner eines über eine Schleuse entsorgten Grundstücks ist auch entsprechend gesunken.

Die in 2007 erhobene und die für 2008 vorgesehene Gebühr für die Privathaushalte entspricht der Gebühr von 2002.

Der Preis für die Dienstleistung der Entsorgung des täglichen Abfalls entspricht heute und 2008 bei einem Dreipersonenhaushalt je Person dem Preis für eine Semmel, 1 ¼ Zigarette oder ein Schluck Bier = etwa 1/16 eines 0,33l Glases.

Die Abfallmengenstatistik von 1983 bis heute bestätigt eine geordnete, dem Auftrag des Abfallrechts entsprechende Abfallentsorgung; denn die Senkung der Abfallmengen zur Beseitigung führte und führt auch weiter zu einer entsprechenden Steigerung der Mengen der Abfälle zur Verwertung. Der Gesamtabfallberg betrug z.B. 1989 vor Einführung von Sortieranreizen = 2518,62 bei 6936 Einwohnern = 360 kg je Einwohner. In 2006 waren es 2.798,07 t bei 7797 Einwohnern noch immer= 360 kg je Einwohner. Eine Abfallvermeidung fand also insgesamt nicht statt, aber von kleinen Ausnahmen abgesehen auch keine illegale Entsorgung.

Das Instrument der Mindestbenutzung gegen wildes Müllablagern hat ebenso gewirkt wie die Aufstellung von ausreichend vielen und großen grauen und gelben Müllbehältern auf allen Wanderparkplatzen.

Der Rückgang bei den teuren, die Gebührenhöhe bestimmenden Abfällen zur Beseitigung von 290 kg je Einwohner auf heute nur noch 130kg je Einwohner = ./. 55 % wurde in der Gesamtmenge ausgeglichen vor allem durch höhere Papiermengen in Folge der Katalogschwemme und dem entsprechenden Anstieg der Papierabfälle.

Und aus den stabilen Abfallmengen über die Jahre hinweg seit Einführung der Sortieranreize bis heute einschließlich der sich jetzt auch – zwar auf hohem Niveau um 900 t herum – stabilisierenden Grünabfallmengen ist zu erwarten, dass auch in den kommenden Jahren die Gebühren weitgehend stabil bleiben können, wenn nicht im Treibstoffbereich bei den Einsammlungskosten stärkere Preisanstiege und stärkere Lohnkosten folgen.

Insgesamt hoffe ich, dass ich in den 35 Jahren meiner Zuständigkeit für die Organisation der Abfallentsorgung nicht nur eine geordnete, dem Gesetzesauftrag entsprechende Abfallentsorgung sicherstellen konnte. Ich habe auch versucht, einerseits den Bürgern eine umfassende Dienstleistung in Sachen Abfall zur Verfügung zu stellen, aber andererseits auch die Gebühren dieser Dienstleistung entsprechend erträglich zu gestalten und vor allem aber auch letztlich eine sozial gerechte Belastung der Bürger zu erreichen.

Ich danke allen, Parlament und Verwaltung, dass sie mich in meiner Arbeit so unterstützt haben, worum mich viele meiner manchmal Kollegen beneiden.

Da ich jetzt auch kaum noch Möglichkeiten für kreative Ideen in der Abfallentsorgung sehe und es nur noch um Verwalten und finanzielle Gesichtpunkte geht, bin ich auch froh, dass meine Zuständigkeit und Verantwortung ab März 2008 nun vorbei ist.

 

Herscheid, 26.11.2007

( G. Kohlhage )

 

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