Müllschleusen – Effektiv oder Luxus?

(Gerd Kohlhage, Diplomverwaltungswirt grad. Dipl.Kom., Juni 2002)

 

Der mit nicht unerheblichen Investitionen verbundene Einsatz von technischen Systemen, die eine am Verursacherprinzip orientierte Zuordnung der Abfallbeseitigungskosten durch entsprechende Gebührenerhebung ermöglichen sollen, stößt immer wieder auf die Fragen: Was kommt dabei für wen raus? Rechtfertigen solche Investitionen und die den Bürgern dadurch auferlegten Pflichten überhaupt die aufzuwendenden Mittel? Führen nicht sogar die mit dem Einsatz dieser Systeme verminderten Hausmüllmengen zur Beseitigung zu Leerkapazitäten in den Abfallentsorgungsanlagen? Steigen nicht gerade dadurch die Gebühren für die Benutzung dieser Anlagen und damit wieder die Abfallgebühren als zweifelhafte Belohnung für die fleißig Müll sortierenden Bürger? Um die Frage der Sortierpflicht für die Bürger zuerst zu beantworten, reicht ein Verweis auf das geltende Abfallrecht. Es normiert sowohl im Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz als auch in den Abfallgesetzen der Länder die Pflicht zur vorrangigen Abfallvermeidung und Verwertung unvermeidbarer, aber wiederverwertbarer Abfälle. Erst die nicht wiederverwertbaren, unvermeidbaren Abfälle dürfen beseitigt werden. Wenn man so will, hat damit bereits der Gesetzgeber eine Verminderung der Abfälle geboten, die aus den Haushalten in die Abfallentsorgungsanlagen zu geben sind und nicht erst die Systeme, die zur Erfüllung dieser gesetzlichen Pflichten durch Umsetzung des Kostenverursacherprinzips und mehr Gebührengerechtigkeit motivieren. Die Aussage, durch eine solche veränderte Aufteilung des „Abfallberges” aus den privaten Haushalten, d.h. mehr Abfälle (sprich Konsumreste) in die Verwertung und weniger in die Beseitigung, entstünden die beklagenswerten Leerkapazitäten, ist in dieser Ausschließlichkeit falsch. Und ebenso unrichtig ist die daraus geschlossene Folgerung, dass durch die auf diese Leerkapazitäten entfallenden hohen Fixkosten moderner Müllentsorgungsanlagen, die Gebühren für die Bürger ganz erheblich gesteigert würden als äußerst zweifelhafte Belohnung für ihr engagiertes und gesetzestreues Verhalten. Denn einerseits war bereits mit Inkrafttreten der ersten Verpackungsverordnung im Juni 1991 vorhersehbar, dass sich die Abfallmengen aus den Haushaltungen bei Umsetzung dieser Verordnung im Sinne einer Verminderung verändern und die Abfallentsorgung den ersten Schritt in Richtung Marktwirtschaft anstelle von Planwirtschaft tun würde. Es war also bereits 1991 bei der Planung der Kapazitäten von Abfallentsorgungsanlagen vorhersehbar, dass mehr die sich verändernde Nachfrage auf dem „Abfallmarkt” als die Planung „alter Art” Gebot der Stunde werden würde. Die bedeutendste Veränderung der Abfallmengen in den Entsorgungsanlagen trat aber erst mit dem einschneidenden Schritt zu mehr Marktwirtschaft bei der Abfallentsorgung durch Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetzes am 7.Oktober 96 ein.

Denn mit diesem Gesetz wurde den wiederverwertbaren Produktionsabfällen aus Industrie und Gewerbe der Weg in die Markwirtschaft, also hin zu den günstigsten Anbietern auf dem Markt der Abfallverwertung, geebnet. Leider ist es bei den wiederverwertbaren Abfällen aus Haushaltungen beim alten, planwirtschaftlich geprägten System des A- und B-Zwanges geblieben. Diese längst überfällige, aber leider nur halbherzige Kehrtwende in der Abfallentsorgung hat dann zu Einbrüchen bei der Entsorgung von Produktionsabfällen über die Abfallentsorgungsanlagen geführt, die bis nahe an 90 % herangingen. Und diese von „teuren” modernen Entsorgungsanlagen forttreibenden Abfallströme hin zu „billig” sich anbietenden, bis zum Inkrafttreten der TA-Siedlungsabfall im Jahre 2005 noch schnell eben voll zu füllenden Entsorgungsanlagen, haben zu den Leerkapazitäten geführt und nicht die verminderten Hausabfallmengen, deren gewichtsträchtigste Fraktion, das Glas, ohnehin schon weitgehend aussortiert worden war.

 

Zurückkehrend zur Fragestellung nach der Effektivität der beschriebenen Systeme muss zunächst nochmals auf den gesetzlichen Auftrag im Abfallrecht verwiesen werden. Es gibt viele Wege, die nach Rom führen, d.h. viele Möglichkeiten, den gesetzliche normierten Pflichten der Abfallvermeidung, des Aussortierens von wiederverwertbaren Abfällen nach zu kommen und Abfallorganisationen aufzubauen, die der geschilderten Rechtslage, aber auch den Bedürfnissen der Einwohner, die Abfälle zu entsorgen haben, entspricht.

 

Die zur ordnungsgemäßen Entsorgung der nicht verwertbaren und zur Aussortierung wiederverwertbarer Abfälle verpflichteten Einwohner der jeweiligen Gebietskörperschaft haben gerade wegen dieser Pflichten ein verstärktes Bedürfnis nach Gebührengerechtigkeit, d.h. nach einer Gebührenerhebung, die berücksichtigt, wer diesen Pflichten besser oder schlechter oder möglicherweise gar nicht nachkommt. Konsumieren ist individuell, also ebenso auch das Beseitigen der Konsumreste, der verbrauchten oder nicht mehr benötigten Güter, des Abfalls. Weil das so ist, gebietet auch das Gerechtigkeitsprinzip, die Organisation der Abfalleinsammlung und Gebührenerhebung dieser Individualität anzupassen, zumal bei der Entsorgung der Abfälle noch eine Steigerung des individuellen Verhaltens der Abfallbesitzer hinzu kommt nämlich das Engagement zur pflichtgemäßen Abfallentsorgung oder aber Gleichgültigkeit oder gar Schonung des eigenen Geldbeutels zu Lasten der Allgemeinheit. Verwirklichung von Gebührengerechtigkeit ist für die Bürger ganz offensichtlich vorrangig vor der Höhe des Dienstleistungspreises für die Übernahme der geordneten Entsorgung ihrer Konsumreste. Es sollte m.E. mehr von einem Dienstleistungspreis als von Müllabfuhrgebühren gesprochen werden. Denn Gebühren haben wie Steuern bei den Bürgern immer noch den Beigeschmack einer Zwangsabgabe, die eh zu hoch ist. In Wirklichkeit geht es um den Preis für die Dienstleistung Abfallentsorgung. Und weil es ein Dienstleistungspreis im Grunde ist, dem auch die in Anspruch genommene Leistung heute zurechenbar ist, kann man das Bedürfnis nach Gebührengerechtigkeit auch als Bedürfnis nach einem echten Preis bezeichnen. Auf dem Dienstleistungsmarkt würde niemand auf den Gedanken kommen, für eine vielfache Leistung den gleichen Preis wie für eine einmalige Leistung gleicher Art zu verlangen, für eine einmalige Gebäudereinigung den gleichen Preis wie für zehn Reinigungen des gleichen Gebäudes. Deshalb gebietet auch die stärkere Inanspruchnahme der Dienstleistung Abfallentsorgung einen höheren Preis – eine höhere Gebühr – wie die nur gelegentliche Inanspruchnahme, weil z.B. sorgfältiger sortiert wird. Was die Gebühren- oder Preishöhe betrifft, sei nur nebenbei bemerkt, dass bei einer durchschnittlichen Gebühr von 90 Euro je Einwohner für 25 Cent am Tag ca. 440 g Abfall ökologisch unschädlich entsorgt werden. Dieser Dienstleistungspreis entspricht dem Preis für eine Semmel bzw. ¼ einer Cola-Dose am Kiosk. Dass die Kids jeden Morgen auf dem Weg zur Schule sich am Kiosk bedienen, scheint selbstverständlich zu sein. Der Preis für die Dienstleistung Abfallentsorgung je Tag geistert aber immer noch durch viele Köpfe als eine viel zu hohe Zwangsabgabe für eine Leistung, die der Staat selbstverständlich zu erbringen habe. Auch hier ist ein Umdenken weg von der Gebühr hin zum Dienstleistungspreis überfällig.

 

Um die beschriebenen Ziele zu erreichen, stehen die verschiedensten technischen Systeme zur Verfügung. Eines davon ist die Müllschleuse.

 

Beim Einsatz von Müllschleusen, ob in Großwohnanlagen oder in Wohngebieten offener Bauweise mit Ein- und Zweifamilienhäusern – dort ist die Müllschleuse eine hochinteressante, ökonomisch und ökologisch, den Wohnwert steigernde Alternative zur klassischen Abfalleinsammlung über Einzelbehälter – wird die jeweils zu entsorgende Menge der Abfälle zu Beseitigung, die Menge der „teuren” Abfälle also, dem Verursacher zugeordnet. Je öfter der Abfallbesitzer die Müllschleuse benutzt, um so öfter muss er „zahlen” durch Abbuchung einer Gebühreneinheit von seinem Chip, den er – ähnlich dem Kartentelefon – in die Schleuse einführt, um den Schleusenschacht zum Hineinwerfen der Abfälle öffnen zu können. Dieser Chip ist mit einem Gebührenguthaben gespeichert, das vermindert wird, je öfter der Chip zum Öffnen der Schleuse verwendet wird.

 

Aber solche Müllschleusen kosten Geld und die Kosten ihrer Anschaffung beeinflussen durch Zinsen und Tilgung bzw. Abschreibungen die Höhe der Gebühren. Die eingesetzten technischen Systeme, so auch die Müllschleusen, müssen durch Verhaltensveränderungen der Benutzer der Abfallentsorgung die Abfallmengen so umgestalten, dass sie ihre eigenen Investitionskosten erwirtschaften und nicht nur das: sie müssen auch zur so deutlichen Verminderung des „teuren” Abfallanteils am Haushaltsmüllberg führen, dass sogar für die Benutzer des Systems noch eine Gebührensenkung, zumindest aber eine verlangsamte Gebührensteigerung gegenüber der Zeit vor Einsatz solcher Systeme eintritt, wenn die Gebühren für die Benutzung von Müllentsorgungsanlagen explodieren, weil diese dem neuesten Stand der Technik angepasst oder erweitert werden.

 

An vielen Beispielen des Einsatzes dieser Systeme – insbesondere der Müllschleuse – zeigt sich nämlich, dass mehr Gebührengerechtigkeit und maßvolle Sortieranreize zu einer veränderten Aufteilung des „Abfallberges” oder anders ausgedrückt: der verbrauchten Güter, der Konsumreste also, führt. Am Beispiel einer ländlich strukturierten Kommune in NRW zeigt sich das deutlich. Während vor Einsatz dieser Systeme die Menge der Abfälle zur Beseitigung 240 kg je Einwohner und die der aussortierten Abfälle zur Verwertung nur 82 kg je Einwohner, d.h. nur 25 % vom Gesamtabfall ausmachten, trat nach Einsatz dieser Systeme – im Beispiel das Kipp-Chip-System und im Mehrfamilienhausbereich die Müllschleuse – eine Verminderung der Abfälle zur Beseitigung auf nur noch 160 kg je Einwohner und ein Anstieg der Abfälle zur Verwertung auf 162 kg je Einwohner ein. Im Bereich des Müllschleuseneinsatzes nahmen an dieser Veränderung ca. 1000 Einwohner teil.

An dieser Stelle sei nebenbei bemerkt, dass dann, wenn die Kosten der Abfallentsorgung nach Tonnagemengen auf die Benutzer der Abfallentsorgung verteilt werden, nur eine am Verursacherprinzip orientierte Gebührengerechtigkeit eintreten kann, wenn alle Einwohner an Systemen teilnehmen können, die eine individuelle Benutzungs- und damit Kostenzuordnung über die Gebührenerhebung ermöglichen. Wenn z.B. nur die Benutzer von Einzelbehältern an einer solchen individuellen Gebührenerhebung mit Sortieranreizen teilnehmen, während die Bewohner von Mehrfamilienhäusern oder Großwohnanlagen ihre Abfälle anonym in Großbehälter ohne individuelle Benutzungszuordnung einfüllen, dann werden die Gebühren für die Benutzung von Einzelbehältern in Wohngebieten, die i.d.R. sozial besser gestellt sind als die in Wohnanlagen mit Wohnberechtigungsschein, von den Benutzern der Großbehälter subventioniert. Denn bei letzteren veränderte sich die „teure” Menge der Abfälle zur Beseitigung nicht, kann sie wegen der anonymen Benutzung auch nicht, sie bleibt bei z.B. 240 kg je E., während sie im anderen Bereich auf 160 kg je E. sinkt.

 

Aus den Haushalten der Benutzer der Müllschleusen wurden im Jahr 160 t Abfälle zur Beseitigung entsorgt, während es vor Einsatz der Schleusen noch 240 t waren. Die Abfallmengensenkung betrug also 80 t jährlich. Wenn man davon ausgeht, dass auch im übrigen Stadtbereich durch Einsatz der beschriebenen Systeme die gleiche Veränderung eintritt, erhöht sich die Abfallmengenreduzierung bei 10.000 Einwohnern auf 800 t jährlich. Da die Kosten zur Beseitigung der Abfälle im Verhältnis zu allen übrigen gebührenfähigen Kosten wie Einsammlung- Personal- Vorhaltekosten usw. die absolut höchsten sind, bringt auch eine Verringerung der Mengen der Abfälle zur Beseitigung die höchsten Kosteneinsparungen. Wenn z.B. die Gebühren zur Beseitigung der Abfälle in einer Müllverbrennungsanlage zwischen 250 und 500 Euro je Tonne, im Mittel also bei 375 Euro je Tonne Abfall, liegen, dann reduzieren sich die Abfallbeseitigungskosten im beschriebenen Beispiel des Müllschleuseneinsatzes von um 80 t x 375 Euro je t = 30.000 Euro. Steigen die Gebühren für die Benutzung der Müllverbrennungsanlage auf 450 Euro je Tonne, dann steigt die Kosteneinsparung auf 36.000 Euro.

Die Investitionskosten betraben bei 30 notwendigen Schleusen für 1000 Einwohner – zur Vermeidung von Gefahren illegaler Entsorgung über eine Verschmutzung der Behälter für die Abfälle zur Verwertung, die Straßenkörbe oder die Natur wird ein vorzuhaltendes Mindestbehältervolumen von 30 l je Einwohner vorgeschrieben und eine Mindestbenutzung, die zwar die individuelle Gebühr einschränkt, aber einen vertretbaren Kompromiss zwischen Gebührengerechtigkeit und wirksamer Abwehr illegaler Entsorgungen darstellt – ca. 90.000 Euro, das sind bei 5 jähriger Abschreibungszeit und einem Eigenkapitalszinssatz von 6,5 % jährlich Kosten von ca. 24.000 Euro. Diesen gebührenfähigen Kosten stehen jährliche Kostensenkungen bei den Gebühren für die Benutzung der Müllverbrennungsanlage von 36.000 Euro gegenüber, so dass unterm Strich zu Gunsten der Bürger eine Kosten- und damit Gebührensenkung von 12.000 Euro, d.h. je Bürger von 12 Euro verbleibt.

Dieses Beispiel zeigt, dass der Einsatz der Müllschleusen – ebenso wie der anderen Systeme zur individuellen Kosten- und Gebührenzuordnung – sich nicht nur selbst finanziert, sondern zur einer Gebührenabbremsung oder -senkung als Lohn für kostenbewusstes und dem Gesetzesauftrag gerecht werdendes Verhalten der Bürger beiträgt. Der Einsatz von Müllschleusen ist deshalb kein Luxus, er ist effektiv und beschränkt sich nicht nur auf Großwohnanlagen, sondern ist eine ganz neue, moderne, den Wohnwert in Neubaugebieten offener Bauweise ganz erheblich steigernde Organisation der Abfalleinsammlung, die auch dort zu erheblichen Kostensenkungen und gleichzeitig zum Abbau von Lärm- und Luftverschmutzungen durch Abgase der Müllfahrzeuge in den Baugebieten führt. Denn dann fahren nicht mehr die großen Müllfahrzeuge Woche für Woche von Haus zu Haus (bei 1000 Einwohnern ca. 250 Häuser) und entleeren ca. 1000 Einzelbehälter mit 1000 Kipp- und 1000 Anfahr- und Abbremsvorgangen. Sie fahren nur noch 30 Entsorgungsinseln an in nur einem Drittel der Zeit, die sie vorher zur Entleerung der Einzelbehälter benötigt hätten. Damit dürften auch die Einsammlungskosten um 2/3 sinken, weil sie weit überwiegend einsatzzeitbezogen sind.

 

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