Intelligentes Müllentsorgungssystem für mehr Gebührengerechtigkeit

(Autor: Richard Zenka; erschienen in: Card-Forum, Oktober 2000)

 

Was sich wöchentlich in der grauen Tonne als Restmüll ansammelt, wird zusehends weniger. Es gibt schon Bereiche, da erfolgt die Leerung der Restmülltonnen nur noch im vierwöchigen Rhythmus. Ein Zeichen, wie drastisch der Restabfall zurückgehen kann, wenn sorgfältig nach Wertstoffen getrennt wird. Doch obwohl die Haushalte immer weniger Restmüll produzieren, steigen die Beseitigungsgebühren.

Großwohnanlagen betrifft dieses Problem dabei besonders, denn dort sind die Entsorgungsgebühren meistens ohnehin schon um ein vielfaches teurer als in den Siedlungsgebieten mit Einzelhäusern. Zum einen liegt dies daran, dass die Fixkosten entsprechend den Abfallmengen verteilt werden, obwohl sie nicht abfallmengenabhängig sind, denn schließlich entsteht beim Einsammeln und Entleeren vieler kleiner Einzelbehälter im Stop-and-Go-Verfahren ein wesentlich höherer Personal- und Sachaufwand als beim Einsammeln und entleeren der Großbehälter mit dem gleichen Gesamtvolumen.

Zum anderen findet die Entleerung der großvolumigen Behälter unabhängig davon statt, ob sie nun voll oder leer sind, und zwar zum gleichen Preis. Nicht umsonst sprechen Fachleute im Zusammenhang mit der Großbehälterleerung von den „schönen Touren“, denn angesichts des geringen Entleerungsaufwands und den von der Entleerungsmenge unabhängigen Maximaleinnahmen freuen sich die Entsorgungsunternehmen und Kommunen über die schnell verdiente Mark.

Ein weiterer Kostenfaktor für die Bewohner und Bewohnerrinnen von Großwohnanlagen resultiert aus der ungünstigen Konzeption und Berechnungsgrundlage der dortigen Entsorgungssysteme. Diese sind kaum dazu angetan, ein ökologisch bewusstes Müllverhalten zu etablieren. Somit wird gleich zweifach gezahlt: Da sich Mülltrennung nicht in Geldwerten auszahlt, wird aus Bequemlichkeit alles zusammen in die gleiche Tonne geworfen, ob Weinflasche, Bildzeitung, Tetrapack oder verschimmeltes Brot.

Bei „gelbem“ Müll, also Produkten, die mit dem grünen Punkt ausgezeichnet sind, ist dies besonders uneffektiv, denn die Entsorgung dieser Produkte wurde ja bereits mit dem Kaufpreis bezahlt. Der einzige, der somit von diesen Umweltsünden profitiert, ist das DSD (Duale SYSTEM Deutschland), das die Entsorgungsgebühr schon kassiert hat, ohne anschließend die Werkstoffe zurücknehmen zu müssen, da alles, was in der grauen Tonne landet, deponiert oder verbrannt wird.

 

Mülltrennung muß belohnt werden

In den Satzungen der Kommunen, stehen die Begriffe Vermeiden, Verwerten, Beseitigen ganz oben. Belohnt werden aber auschlieslich die Inhaber kleiner Gefäße. Die jeweiligen Entsorgungssysteme sehen vor, dass der Tonneninhaber Anreize hat, seine Abfallmenge zu beeinflussen. Sei es über die Behältergröße oder die Abfuhrhäufigkeit. Diese Anreize hat der Bewohner der Großwohnanlage nicht. Die Bereitstellung von „bunten“ Behältern, ist noch lange kein Grund seinen Abfall zu trennen. Er möchte auch belohnt werden.

Die unterschiedlichen Entsorgungssysteme haben tatsächlich zur Reduzierung der Restabfallmenge erheblich beigetragen, nachweislich trifft dies aber nur für den Bereich der Einzelhausbebauung zu.

In Großwohnanlagen sind derartige Resultate nicht zu verzeichnen. Hier fehlt schlicht und einfach der finanzielle Anreiz zur Mülltrennung und -Vermeidung. Bei Großwohnanlagen ist es üblich, die Personenzahl oder die bewohnte Fläche für die Abrechnung zugrunde zu legen. Es wird also eine Pauschale und im Vergleich zur Müllproduktion von Eigenheimen, eine relativ hohe Müllmenge berechnet. Ob diese Müllmenge tatsächlich produziert wird, ist für die Abrechnung nicht relevant. Die Großmüllbehälter werden in jedem Fall geleert und die Kosten hierfür trägt ausschließlich die Mietergemeinschaft.

Eine Lösung könnte darin zu bestehen, auch in Ballungsgebieten jedem einzelnen Haushalt eine eigene Tonne zur Verfügung zu stellen, damit er verursachergerecht veranlagt wird. Doch dies ist mangels Stellfläche oder aus hygienischen Gründen nicht praktikabel. Statt dessen hat sich der Einsatz einer Müllschleuse bewährt.

 

Je weniger, desto besser – Entsorgen per Chipkarte

Die „Zwickauer Müllschleuse®“ wurde entwickelt, um eine gerechtere Abrechnung der Entsorgungsgebühren in Großwohnanlagen und eine wirkungsvolle Verminderung der anfallenden Abfälle durch Anreiz zur Trennung zu erreichen.

Dabei handelt es sich um eine Einhausung, in welche die bereits vorhandenen DIN-gerechten Müllbehälter der Größen 1,1 Kubikmeter oder 240 Liter eingestellt werden. Die Schleuse selbst ist im Dach der Einhausung implementiert, wo auch die erforderliche Technik untergebracht ist. Es gibt Schleusengrößen für Entsorgungsmengen von fünf, zehn, fünfzehn und zwanzig Litern. Damit ein Mieter seinen Abfall in den Container einwerfen kann, muß er zunächst per Karte die Müllschleuse öffnen. Somit zahlt der Mieter also nur noch für die Abfälle, die er tatsächlich entsorgt. Ein Grund mehr, die Wertstoffbehälter intensiver zu nutzen.

Es stehen zwei Versionen zur Verfügung.

Version A

Bei dieser Version werden Prepaid-Karten (Telefonkartenprinzip) genutzt, die mit einem Geldwert von beispielsweise fünfzig Mark oder auch Einheiten für 5 000 Liter Entsorgungsmenge geladen sind. Bei jeder Nutzung der Schleuse wird ein bestimmter Wert abgebucht. Im Display kann der den Nutzer jederzeit das genaue Restguthaben auf seiner Karte ablesen.

Version B

Bei dieser Version werden Ident-karten eingesetzt, die jede Nutzung der Schleuse festhalten. Die einzelnen Entsorgungsvorgänge werden mit Datum, Zeit, Ort und Menge in der Ident- Einheit der Schleuse gespeichert und zur späteren Abrechnung mittels Handlesegerät oder per GSM ausgelesen.

Mit einer Chipkarte ist auch eine standorttunabhängige Entsorgung innerhalb einer Stadt möglich, wenn dies gewünscht wird, das heißt, der Restmüllbeutel kann an jeder beliebigen Müllschleuse entsorgt werden; dies ist beispielsweise nach einem Umzug praktisch, indem die Karte einfach weitergenutzt werden kann. Auch der Verwaltungsaufwand für die Abrechnung wird durch das Kartensystem drastisch reduziert.

 

Niedrigere Abfallgebühren auch in Großwohnanlagen

Die Erfahrungen mit der Müllschleuse haben gezeigt, dass in den betreffenden Wohnanlagen sowohl die Restmüllmenge als auch die Entsorgungsgebühren pro Haushalt erheblich gesenkt werden können. In einer Wohnanlage in (Stade/Elbe, ) bezog sich der Kostenanteil pro Wohnung vor Einführung der Schleuse auf 44 Liter pro Person und Woche. Zugrunde gelegt waren 29700 Liter Müll pro Woche bei insgesamt 668 Einwohnern. Entsprechend wurden wöchentlich insgesamt 27 Müllgroßbehälter à 1100 Liter entsorgt, und die jährlichen Kosten betrugen rund 340 Mark pro Einwohner. So zahlte eine Familie mit vier Personen etwa 1 360 Mark im Jahr.

Mit Hilfe der Schleusen konnte die Zahl der Müllgroßbehälter von 27 auf 12 reduziert werden. Dadurch senkte sich der jährliche Kostenanteil für eine vierköpfige Familie auf etwa 640 Mark.

 

Für die Berechnung der jährlichen Entsorgungspauschale, die unabhängig von der individuell produzierten Müllmenge für jeden Haushalt anfällt, hat es sich als praktikabel und sinnvoll erwiesen, für jeden Haushalt eine Mindestabfallmenge zu definieren. Dies bewirkt nicht nur den Anreiz für den Bewohner, seinen Abfall zu trennen, um keine zusätzlichen Kosten entstehen zu lassen, sondern bedeutet auch, dass die Hemmschwelle, seinen Abfall illegal zu entsorgen, erhöht wird.

Denn da die Mindestabfallmenge ohnehin bezahlt werden muss, wird diese wohl auch ausgeschöpft werden. Und falls doch mehr Restmüll entsteht, so motiviert die Geräumigkeit der Großcontainer dazu, ihn ordnungsgemäß per Müllschleuse zu entsorgen. Dabei ist zu beobachten, dass dies tatsächlich geschieht, denn die Schleusennutzer unterliegen einer sozialen Kontrolle durch ihre Mitbewohner, die ja alle daran interessiert sind, die Abfallkosten niedrig zu halten. Müllbeutel, die an der Schleuse abgelegt wurden, werden über eine Hausmeisterkarte entsorgt. Die anfallenden Mehrkosten auf alle verteilt.

 

Technische Ausführung

Das Schleusensystem ist auf Langlebigkeit ausgelegt. Daher wird das tragende Stahlgerüst aus feuerverzinkten Profilen gefertigt. Die geneigte Dachabdeckung sowie die Schleuse werden aus rostfreiem Edelstahl mit Selbstreinigungseffekt hergestellt. Für die Verkleidung werden Recycling-Platten ausgewählt, die komplett aus rückgewonnenen Wertstoffen gefertigt sind. Die Stromversorgung geschieht wahlweise über Netzanschluss oder integrierte Solarstromversorgung Gasdruckfedern ermöglichen eine kraftsparende Öffnung der Umhausung bei der Leerung des Containers, Tür und Dach werden mit einem modernen Schließsystem gesichert. Insgesamt zeichnet sich die Schleuse durch eine robuste Gesamtausführung aus, die weitgehenden Schutz vor Vandalismus bietet.

Hersteller der Schleuse ist das Unternehmen Wesoma, Zwickau. Der Vertrieb erfolgt durch die Firma Rheinwerk. Die Identifizierungssoftware hat das Unternehmen Moba/Dresden erstellt. Die elektronische Steuerung wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Stoesser-electronic entwickelt. Überall sind verschiedene Steuerungsvarianten möglich. Auf alle Änderungen im Nutzungsbereich kann problemlos reagiert werden.

 

Pilotprojekte

Seit Mitte 1996 hat Wesoma etwa 2 500 Containereinhausungen hergestellt, die nun bereits in etwa fünfzig deutschen Klein- und Großstädten installiert sind. Doch auch über die nationalen Grenzen hinaus konnte sich das System bereits bewähren, beispielsweise in Oslo, im niederländischen Tubbergen, im österreichischen Bregenz, in Zürich, Luxemburg und Bozen. Gerade in Ländern, die mit hohen Entsorgungsgebühren zu rechnen haben.

Die Resonanz ist überall durchweg positiv. So heißt es zum Beispiel über ein Pilotprojekt in Saarbrücken von 1997, dass dort schon nach Ablauf eines Jahres das Restmüllvolumen um die Hälfte gesenkt werden konnte. Dies hat die Gebühren natürlich stark beeinflußt.

Auch die drei Zwickauer Müllschleusen®, die in der Tiefgarage eines Wohnblocks in Freiburg stehen, zeigten bereits kurz nach der Installation ihre Effektivität.

 

Während vor der Einführung der Müllschleusen noch sechs 1100-Liter-Müllcontainer in der Tiefgarage standen, so konnte die Containerzahl bald reduziert werden, weil die 64 Haushalte der Wohnanlage nun gerade noch halb soviel Restmüll produzierten. Zusätzliche Wertstoffcontainer wurden bereitgestellt. Die Akzeptanz des Systems ist insgesamt sehr hoch, so dass der Rat beschlossen hat, vom Jahr 2001 an Müllschleusen für alle Freiburger Wohnanlagen mit mehr als zwanzig Wohnungen verfügbar zu machen. Im übrigen ist in den vergangenen Jahren keine der dort aufgestellten Schleusen nur ein einziges mal ausgefallen.

Befürchtungen, dass der Anteil des Restmülls in den Wertstoffbehältern überproportional ansteigen wird, konnten nicht bestätigt werden. Nach Beendigung der Pilotphase stellten die städtischen Entsorger von Heidelberg und Saarbrücken den Wohnungsbaugesellschaften Schleusen als Dienstleistung zur Verfügung.

Gleichzeitig übernehmen sie die Abrechnung, eine Dienstleistung, die von den Grundstückseigentümern gerne angenommen wird. Durch Modifizierung der Logistik, durch neue Dienstleistungen kann ein Teil der Kosten, der durch die Behälterreduzierung entsteht, aufgefangen werden. Und da die Vermeidung des Abfalls, die Verwertung und dann die Beseitigung in allen Satzungen im Vordergrund stehen, ist der Rückgang des Restabfalls ja ausdrücklich gewünscht.

Abgesehen von den ökologischen Effekten, bietet die Zwickauer Müllschleuse® also vielfältige Vorteile für alle Beteiligten. Für den Nutzer ergibt sich eine einfache Gebührenkontrolle. Die konsequente Mülltrennung minimiert die finanziellen Belastungen für jeden Haushalt. Zudem können alle Containerstandorte innerhalb des Systems genutzt werden.

Für die Kommune ist insbesondere die radikale Reduzierung des anfallenden Restmüllvolumens auf weniger als fünfzig Prozent ein entscheidender Effekt. Sehr ansprechend ist auch das Erscheinungsbild der Müllschleusen, die optisch gut in die Wohnsiedlungen passen. Jetzt braucht man den Abfallstandort nicht mehr zu verstecken. Kosten für aufwendige „Müllversteckanlagen“ entfallen. Für die Hausverwaltungen ergibt sich eine Senkung der Mietnebenkosten. Dadurch wird der Abbau des Leerbestandes möglich oder leichter. Das Schleusensystem bewahrt die Nutzer vor Fremdbefüllng. Kommunen können direkt mit den Wohngesellschaften oder den Haushalten abrechnen, die Entsorgungsunternehmen schließlich profitieren ,wenn sie erkennen, dass die Schleuse nicht der Feind, sondern eine aus der Entsorgungslandschaft nicht mehr weckzudenkende Lösung für Großwohnanlagen ist.

 

Wie geht es weiter?

Der Anstieg der Abfallgebühren belastet hauptsächlich die Bevölkerung im Bereich der Großwohnanlagen. Der Einsatz von Müllschleusen kann in den meisten Fällen die Verursachergerechtigkeit und Sozialverträglichkeit von Abfallgebühren verbessern und, richtig eingesetzt, die sinnvolle Lenkung von Abfallströmen unterstützen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil der Wertstoffe erheblich ansteigt.

Die Schleusen sind seit etwa fünf Jahren im Einsatz. Dort, wo sie eingesetzt sind, sind die Abfallkosten fast halbiert worden. Die Akzeptanz der Schleusen durch die Nutzer ist überragend.

Aufgrund dieser durchgehend positiven Ergebnisse zeigt sich der Trend an, dass sich die Abfallschleuse in Großwohnanlagen als Standardentsorgungssystem etablieren wird.

 

Mit den Müllschleusen wird es zukünftig auch möglich sein, die Müllabholung bedarfsgerechter zu regeln. In Hamburg und in Berlin sind die Schleusen bereits mit GSM-Technologie ausgestattet, die alle Daten, wie zum Beispiel den Befüllungsgrad der Schleusen, an das Entsorgungsunternehmen weitermelden.

Dadurch können Entsorger ihre Touren optimieren, und das Problem überfüllter Behälter und der damit verbundenen Verunreinigung der Stellplätze verhindern.

Der Einsatz der Müllschleusen stellt auch für Ein und Zweifamilienhäuser eine moderne ökonomisch und ökologisch sinnvolle, ja überlegene Alternative, gegenüber der klassischen Einzelbehälterentleerung dar. Dies kann eine entsprechende Nutzen- Kostenanalyse ebenso belegen, wie eine Ökobilanz. Denn anstelle eines Zeit und somit auch geldraubenden Einsammlungssystems, bei dem jedes Grundstück angefahren und falls zum Entleeren herausgestellt, jeder einzelne Behälter entleert werden muß, kann dies nun durch ein Zeit und kostensparendes System, der Müllschleusen, an zentralen Stellen ersetzt werden.

 

Dieses Verfahren ermöglicht dem Entsorger eine optimale Tourenplanung, reduziert den Zeitaufwand zur Abfalleinsammlung und damit die Fahrzeug u. Personalkosten auf einen Bruchteil und erspart dem Abfallbesitzer Kosten durch Verwaltung von Einzelmüllbehältern Behälterkosteninvestitionen usw. Der ökologische Reiz diese Systems liegt in der Vermeidung von Lärm und Luftbelastungen durch den üblichen Stop- and GO- Verkehr von Grundstück zu Grundstück. Häufig stehen je nach Satzung bis zu vier Tonnen vor einem Haus, und zwar mit unterschiedlichen Abfuhrintervallen. Wertstoffinseln sind da, wo sie möglich sind, die Lösung.

 

Kritische Stimmen warnen vor der zu erwartenden Erhöhung der Abfallbeseitigungsgebühren durch den Einsatz der Schleusen, wenn diese flächendeckend aufgestellt würden. In der Tat ist nicht auszuschließen, dass es da und dort zu einer Nivilierung der Gebühren kommen kann. Da aber zur Zeit die Bewohner der Großwohngebiete (und damit oftmals die vergleichsweise sozial Schwächeren) die hauptsächliche Müllzeche zahlen, kann ein solcher Effekt nicht das schlagende Argument gegen die Schleuse sein, sondern eine notwendige Maßnahme gegen soziale Ungerechtigkeit.

 

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